Die Gier nach der Idylle - Ein Gastkommentar von Sabine Leopold, Redakteurin Agrarmanager
Deutsche Wirtschaft soll erfolgreich sein, Arbeitsplätze bieten, Qualität exportieren. Ist sie
allerdings im Agrarbereich angesiedelt, muss sie auch romantisch, hübsch anzuschauen und
ein bisschen altbacken sein. Wer dagegen diskutiert, arbeitet für die Lobby
. Doch sachliche Argumentation – so schwer sie mitunter fallen mag – ist unverzichtbar.
Es ist Wahlkampf. Und vor allem in größeren Städten und Gemeinden machen die Parteien und Parteichen gern auf sich aufmerksam, indem sie sich mit Tapeziertisch, Sonnenschirm und Luftballons in der Fußgängerzone platzieren und ihr Programm unter das mehr oder weniger interessierte Volk bringen. Recht eifrig in dieser Hinsicht war in den vergangenen Jahren die Tierschutzpartei, die hier in Berlin vorübereilende Fußgänger mit der Suggestivfrage stoppte: Sie lieben doch bestimmt Tiere, oder?
– Wer wollte da schon mit nein
antworten? Die anhänglichen Wahlkämpfer auszubremsen, war meist nicht einfach. Umso mehr verblüffte mich, dass man mit der Antwort Klar, ich bin Landwirt!
mit schöner Regelmäßigkeit zunächst bestürzte und dann verachtungsvolle Blicke erntete und danach unter eisigem Schweigen der Parteiwerber seines Weges ziehen durfte. Ohne Wahlprogramm.
Was sich vergnüglich anhört, ist leider bitterer Ernst in Deutschland: Landwirte gelten inzwischen per se als uninteressiert am Wohl von Tier und Umwelt. Wenn es nur ultraradikale Tierrechtler und entrückte Weltenretter wären, die diese Meinung wie eine Standarte vor sich hertragen, wär’ die Sache halb so schlimm. Doch mittlerweile hat das Landwirte-Bashing auch die großen Medien erreicht. Und mit ihnen die Hauptsendezeiten im Fernsehen und die auflagenstarken Zeitungen und Magazine.
Es gehört inzwischen zum guten Ton
bei ARD und ZDF, zu Fragen rund um die landwirtschaftliche Praxis ausnahmslos Ökohöfe vorzustellen. Als Agrarexperten
werden nicht selten Aussteiger mit Nebenerwerbslandwirtschaft präsentiert. Und im quotenträchtigen Tatort oder den beliebten Vorabendkrimis ist ein Bauer entweder ein von Profitgier zerfressener Verbrecher – und in diesem Falle natürlich Massentierhalter
(der gern mal atemberaubende 100 Kühe oder 500 Sauen
im Stall hat). Oder er ist enthusiastischer Ökolandwirt (mit langbehornten Kühen oder glücklichen Weideschweinen, alle liebevoll mit Namen versehen) und hilfloses Opfer von Agrarindustrie, Immobilienhaien oder Lokalpolitik. Gern auch in Kombination.
Über solche Klischees könnte man lächelnd hinwegsehen, schließlich haben auch andere Berufsgruppen mit Pauschalverrissen in den Medien zu kämpfen – oder kennen Sie sympathische Wirtschaftsanwälte, Zeitungsreporter oder Unternehmensberater? Nur lassen sich letztere Tätigkeiten nicht so einfach aus Deutschland auslagern. Und selbst wenn, wäre deren Export
nicht so verheerend für die Kulturlandschaft, die Flächennutzung und die regionale Versorgung mit Nahrungsmitteln … und für das Bildungsniveau der landfernen Bevölkerung, die im Moment wenigstens theoretisch noch die Chance hat, sich Landwirtschaft von Landwirten erklären zu lassen, statt von Tierrechtsaktivisten und wahlkampftollen Politikern.
Argumente gegen Parolen
Doch genau da liegt zunehmend der Hase im Pfeffer. Es ist verständlich, dass viele Landwirte (vor allem aus größer strukturierten Betrieben) es inzwischen müde sind, über Haltungsformen, Fütterungsstrategien, gute fachliche Praxis und eine gewinnorientierte Produktion (die bei Landwirten im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen nicht als Erfolgsbeweis, sondern als Charakterfehler gezählt wird) zu diskutieren, wenn der Gesprächspartner oft ohnehin nur auf reißerische Parolen anspringt. Trotzdem: Wer sonst könnte die Sachlichkeit zurück ins Gespräch bringen? Schlagworte wie Massentierhaltung
und Agrarindustrie
werden inzwischen völlig unreflektiert angewendet und verbreitet. Selbst die moderne Tierhaltung
machte im letzten Jahr unfreiwillig Karriere als Vorschlag zum Unwort des Jahres 2012
.
Das Bequeme an diesen Begriffen: Keiner muss sie definieren, einordnen oder hinterfragen. Man
weiß doch schließlich, was da läuft!
Und tatsächlich tickt der Mensch wohl so: Je öfter und lauter eine Behauptung wiederholt wird, desto tiefer frisst sie sich in den eigenen Argumentationswortschatz und desto weniger Substanz wird ihr abverlangt. Die Diskussion um landwirtschaftliche Betriebsstrukturen und Nutztierhaltungsformen steht da nicht allein. Nur fällt’s einem im eigenen Fachgebiet auf. Und das ist beinahe noch bedenklicher als der Frust über das eigene Bild in der Öffentlichkeit: Wieviel glauben wir eigentlich unbesehen in Wissensbereichen, die uns weniger vertraut sind? Was meinen wir über Medizin, die Finanzwelt, Ernährung usw. genau zu wissen, nur weil es andere oft genug behauptet haben? Die Manipulation kennt hier kaum Grenzen.
Keine falsche Zurückhaltung
Am Ende hilft wohl nur mitdenken – und mitreden. Dabei geht es vor allem darum, sich nicht in eine Verteidigungshaltung drängen zu lassen. Verdachtsmomente und Vorurteile, die einmal im Raum stehen, sind schwer zu bekämpfen.
Dr. Jörg Bauer, Vorsitzender des DLG-Ausschusses Schweineproduktion und selbst Ferkelerzeuger, fasste Ende letzten Jahres auf dem Schweinetag der Landesforschungsanstalt in Mecklenburg-Vorpommern seine Erfahrungen auf dem Gebiet der Öffentlichkeitsarbeit zusammen. Ausgerechnet seine Offenheit gegenüber Betriebsbesuchern trug ihm das Misstrauen seiner Nachbarn ein. Wie erklärt man Nicht-Landwirten aber auch, warum regelmäßig weißgewandete Schutzanzugträger den Stall aufsuchen. In Zeiten von SARS und Schweinegrippe konnte das doch nur eins bedeuten: Seuchenalarm! Solche Missverständnisse lassen sich klären. Nur muss eine Seite anfangen, Fragen zu stellen, oder die andere, Sachverhalte zu erklären. Übertriebene Zurückhaltung sorgt nur dafür, dass Dritte die Rolle des Erklärers übernehmen – mit den bekannten Folgen.
Der Kommentar erschien in der Ausgabe 09/2013 der Fachzeitschrift Agrarmanager.