Fingerspitzengefühl gefragt
– Kommentar von Peter Seeger zur Eberstrategie im LEH
Silvester 2018 ist laut Politik Schluss. Denn ab 1. Januar 2019 dürfen keine männlichen Ferkel mehr ohne Betäubung kastriert werden.
Dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ist der Gesetzgeber offenbar nicht schnell genug; Deshalb legen Aldi Süd und Rewe noch ein Schippchen drauf und fordern von ihren Lieferanten, schon zwei Jahre vorher, ab 2017, männliche Ferkel wenn überhaupt, dann nur noch mit Betäubung zu kastrieren. In einem Strategieprozess soll nun erarbeitet werden, wie die Wertschöpfungskette Schweinefleisch ohne betäublungslos kastrierte, männliche Ferkel funktionieren soll.
Jenseits der Arbeitskreise im Handel, drängt für mich als Tierhalter die Zeit: Schon in acht Monaten muss ich ganz definitiv die Entscheidung treffen, ob ich die Ferkel in meinemStall nun kastriere, oder nicht.
Über das Wohlbefinden des individuellen Ferkels hinaus, hat der Ausstieg aus der betäubungslosen Kastration das Zeug, dem Strukturwandel in der Landwirtschaft Vorschub leisten. Denn ob ein Betrieb die Betäubung durch den Tierarzt umsetzt, Eber mästet oder künftig zur Impfung gegen Ebergeruch greift, hat ganz konkrete wirtschaftliche Folgen. Deshalb muss der LEH bei allen Marketing-Anstrengungen rund um das Thema Tierwohl nicht nur die Verbraucher im Blick haben, sondern auch Fingerspitzengefühl gegenüber den Landwirten beweisen. Die klassische Ebermast können die kleineren Schlachtbetriebe keinesfalls umsetzen, da Ihnen die Verwertung für die geruchsauffälligen Eber fehlt, wie sie etwa die Verarbeitung zu Rohschinken, Rohwurst oder der Export bieten. Eine Kastration unter Betäubung bedeutet das Aus für viele kleine Sauenhalter, denn die Kosten sind zu hoch.
Allen diesen Schwierigkeiten zum Trotz ist die Landwirtschaft bereit, praktikable Wege aus der Ferkelkastration mitzugehen. Dies zeigt die Beteiligung vieler Landwirte an der Ferkelprotestwoche des Deutschen Tierschutzbundes. Völlig überraschend für die NGO, forderten viele Erzeuger auf derFacebookseite des Tierschutzbundes,gemeinsam nach Alternativen zur betäubungslosen Ferkelkastration zu suchen. Dieser Schulterschluss zwischen Tierschützern und Landwirten ist mindestens mal ungewöhnlich.
Offenbar will der LEH über die Tierwohlschiene verstärkt direkten Einfluss auf die landwirtschaftliche Produktion nehmen. Dies beschränkt sich nicht mehr in Label- oder Markenfleischprogrammen auf einen kleinen Teil des Sortiments, sondern umfasst das komplette Angebot - zumindest bei den Eigenmarken. Wirklich Sinn ergibt das für den einzelnen Händler aber nur, wenn er sich durch seinen Tierwohl-Standard klar von seinen Konkurrenten abgrenzen kann. Und das kann meinem Erachten nach nur durch direkte Lieferverträge mit einzelnen Landwirten gelingen, in denen die Produktionsauflagen klar geregelt sind. Eine solche Vertragsproduktion ist bisher nur in der Geflügel- und zum Teil auch in der Milchwirtschaft üblich.
Das völlige Überzeichnen der Initiative Tierwohl zeigt, dass auch die Schweinehalter bereit sind, mehr Tierwohl in ihren Ställen zu bieten . Doch nur Auflagen, die von der breiten Masse der Erzeuger umsetzbar sind und angemessen vergütet werden, können kurz- und mittelfristig wirklich Bestandteil der Lieferverträge sein.
Ich hoffe, dass sich der LEH seiner Verantwortung für viele Bauernfamilien bewusst ist.