Es geht um die Wurst – nicht nur auf den landwirtschaftlichen Betrieben
Hohe Schweinepreise: Was die Landwirte freut und was aufgrund steigender Kosten auch dringend nötig ist, entwickelt sich aktuell an anderer Stelle zu einem echten Problem. Fast unbemerkt für Landwirte vollzieht sich unter den Wurst- und Fleischwarenherstellern ein bislang wohl noch nie dagewesener Strukturwandel. In die Kritik kommt dabei insbesondere der Lebensmittelhandel, nicht nur aufgrund der Preisgestaltung, sondern auch wegen seiner umstrittenen Einkaufspolitik. Das wird über kurz oder lang auch Folgen für die landwirtschaftlichen Betriebe haben.
Wurstvielfalt in Gefahr?
Die Wurstbranche ist geprägt von mittelständischen Unternehmen mit langer Tradition, die scheinbar zwischen den wenigen großen Schlachtunternehmen und dem nachfragemächtigen Lebensmitteleinzelhandel zerrieben werden. Aktuell stellen immer noch fast 400 Betriebe der Branche etwa 1,5 Mrd. kg Fleischwaren her und stehen für rund 18 Mrd. Euro Umsatz, berichtete die Lebensmittel Zeitung (LZ). Gerade Unternehmen, die für Discounter und Vollsortimenter Handelsmarken herstellen, stehen unter Druck. Marktbeobachter erwarten jetzt eine Konsolidierungswelle, auch wenn in der von Familienbetrieben geprägten Branche die Gesellschafter ans Eingemachte gehen
, um ihre Unternehmen zu retten, wird ein Wursthersteller in der LZ zitiert.
Insolvenzen und Übernahmen
Aufgrund des in den letzten Monaten stark gestiegenen Margendrucks meldeten in den vergangenen Wochen bereits die Wursthersteller Lutz (Landsberg) und Astro (Verl) Insolvenz an. Gerade die ehemalige Vion-Tochter Lutz ist dabei alles andere als ein kleines Licht. Die Gruppe beschäftigte rund 1.000 Mitarbeiter an mehreren Standorten. Den größten Standort im niedersächsischen Badbergen scheint zumindest teilweise Tönnies weiterführen zu wollen. Hier sollen im Lohn Rinder geschlachtet werden.
Tönnies-Imperium wächst
Der Name Tönnies bzw. die zu Tönnies gehörende Zur Mühlen-Gruppe fiel auch im Zusammenhang mit der Übernahme der Blankemeyer-Gruppe (Gütersloh), zu der u.a. auch die Wurstmarke Marten gehört. Die Traditionsmarke Marten produziert mit rund 300 Mitarbeitern vornehmlich Rohwurst, Koch- und Brühwurst, sowie Schinken für den SB-Bereich und die Bedientheke. Noch keine Lösung scheint es für den insolventen Schinken und Wurstfabrikanten August Strohlücke (Astro
) zu geben. Der Fleischverarbeiter beschäftigt 168 Mitarbeiter.
Fleischverarbeiter üben Kritik am Handel
Preiserhöhungen sind aus Sicht der Anbieter also dringend notwendig, jedoch im Handel kaum durchzusetzen, schreibt die Lebensmittelzeitung. Nach LZ-Informationen konnten im vergangnen Jahr bei allen Handelsunternehmen bereits einzelne Preiserhöhungen durchgesetzt werden, jedoch nach Aussagen von Branchenkennern nicht in ausreichender Höhe. Der Handel möchte, zumindest laut eigener Aussage, die Vielzahl der Artikel und auch der mittelständischen Lieferanten erhalten, ist aber nicht bereit, diese entsprechend zu bezahlen
, wird ein Hersteller in der Lebensmittelzeitung zitiert.
Der Handel macht Agrarpolitik
Nicht nur die Preisgestaltung des Handels ist dabei kritikwürdig, auch die zunehmenden Extrawünsche, möglichst ohne Mehrkosten, stoßen in großen Teilen der Branche sauer auf. Bereits im vergangenen Jahr stellte die Lebensmittel Zeitung fest, dass der Handel Themen, bei denen sich die echten
Agrarpolitiker aufgrund der erheblichen Folgeerscheinungen eher vorsichtig verhalten, durchaus hemdsärmelig anpackt. Ob Ferkelkastration, Gentechnikfreiheit oder Tierwohl. Er ändere seine Einkaufsrichtlinien, setze Bauern, Molkereien und Fleischindustrie klare Fristen – wohl wissend, dass sich ohne diesen Druck so schnell nichts ändern werde, so die LZ. Zuletzt hatte REWE Dortmund mit der Bewerbung von Antibiotika-freien Schweinen Kopfschütteln ausgelöst.
Aktionismus des Handels – unmoralische Angebote der Schlachter
Grundsätzlich ist gegen Qualitätsfleischprogramme des Handels nichts einzuwenden, schließlich bieten sich neue Märkte und damit Mehrerlöse. Doch die Extrawünsche des Handels taugen oftmals nicht als ehrliches Werbeargument und um einen echten Mehrwert für Landwirte, Verarbeiter, Handel und Verbraucher zu erreichen. Denn, so stellte es auch die Lebensmittelzeitung fest, das Vorgehen des Handels birgt die Gefahr des Aktionismus. Häufig fehle eine ordentliche Folgenabschätzung für alle Beteiligten der Wertschöpfungskette, mit der Gefahr, dass ganze Branchen gespalten werden, so die eindeutige Kritik. Dabei werden aus Sicht der ISN eindeutig auch einige Schlachtunternehmen in die Kritik einbezogen, die diese unmoralischen Angebote, wie z.B. Antibiotika-freie Schweine fast zum Nulltarif unterbreiten.
Drum prüfe …
Landwirte, die mit Sonderwünschen der Schlachtunternehmen oder des Handels konfrontiert werden, sollten genau prüfen, ob es die zusätzlichen Auflagen wert sind. Es sollten auch kritische Fragen beantwortet werden, z.B. was bei der Antibiotika-freien Mast langfristig mit den behandelten Tieren passieren wird? Wann entwickelt sich ein Bonus für unbehandelte Tiere zu einem Malus für behandelte Tiere, sofern sie überhaupt noch vermarktungsfähig sind?
Landwirte sollten also möglichst flexibel in der Produktion und Vermarktung bleiben und genau schauen, welche Perspektiven verschiedene Programme bieten. Als Beispiel kann das Label des deutschen Tierschutzbundes angeführt werden, das mit großem Ambitionen startete und bei dem heute nicht mal mehr eine Handvoll Betriebe dabei sind. Betriebe, die auf dieses Pferd gesetzt haben und ihren Betrieb danach ausgerichtet haben, stehen teils vor echten Problemen.