ISN-Mitgliederversammlung 2022: Explodierende Futterkosten, finanzielle Verluste und fehlende Perspektive – Wie geht es mit der Schweinehaltung in Deutschland weiter?
Die Schweinehalter erleben eine in diesem Ausmaß noch nie dagewesene Vielfachkrise. Erst Corona, dann obendrein ASP und on top der Ukraine-Konflikt, der für die Bauern extreme Preissteigerungen vor allem bei Futtermitteln nach sich zieht. Zusätzlich sorgt die sprunghaft gestiegene Inflation für deutliche Kaufzurückhaltung von Schweinefleisch. Auf der heutigen Mitgliederversammlung, die in Osnabrück stattfindet, warnt die ISN Lebensmittelgroß- aber auch -einzelhändler, mit Importware die aktuelle Situation auszunutzen und die Fleischeinkaufspreise am hiesigen Markt zu drücken. Von der Politik fordert die ISN Augenmaß, sowie ein Auflagenmoratorium, um die Schweinehalter nicht noch zusätzlich zu belasten.
Die Lage der deutschen Ferkelerzeuger und Schweinemäster ist desaströs. Seit inzwischen zwei Jahren werden massive Verluste geschrieben und die Ausstiegswelle rollt bereits. Corona-Pandemie, Afrikanische Schweinepest, sowie massiv steigende Futterkosten durch den Ukrainekrieg haben Spuren hinterlassen. Dazu kommt die seit Jahren andauernde Planungsunsicherheit und fehlende Perspektive auf den Betrieben.
Die Nerven liegen blank – komplett! Ich arbeite nun seit über vier Jahrzehnten in der Schweinehaltung, aber ein solches Ausmaß, wie diese Vielfachkrise, habe ich zuvor noch nicht erlebt
, ordnet der ISN-Vorsitzende Heinrich Dierkes die Situation ein.
Wir haben in Deutschland bereits den niedrigsten Schweinebestand seit 25 Jahren. Besonders deutlich ist die Zahl der Betriebsaufgaben: Von ca. 30.900 schweinehaltenden Betrieben im Jahr 2011 sind nur noch 18.800 Betriebe im November 2021 übrig geblieben. Das ist ein Rückgang von fast 40% - und da sind die aktuellen Zahlen seit Ausbruch des Ukraine-Konflikts noch gar nicht enthalten. Erste Ergebnisse der Mai-Viehzählung zeigen bereits weitere, klar zweistellige Rückgänge. Dabei haben gleichzeitig Schweinehalter in anderen EU-Staaten, wie Spanien, aufgestockt
, ergänzt ISN-Geschäftsführer Dr. Torsten Staack.
Das Paradoxe ist, dass die Politik mit aller Gewalt die Tierbestände reduzieren will und dabei genau jene Familienbetriebe unwiederbringlich zum Ausstieg treibt, die sie eigentlich für die Weiterentwicklung der Tierhaltung behalten will
, legt Heinrich Dierkes den Finger in die Wunde.
Wir bekommen aktuell Rückmeldungen, dass nicht nur Großhändler, sondern auch einzelne Lebensmitteleinzelhändler hierzulande versuchen, die Situation am europäischen Schweinemarkt auszunutzen und mit Importware Druck auf die Einkaufspreise für Schweinefleisch hierzulande machen – und das trotz Bekenntnis zur Herkunft Deutschland und hoch gesteckter Ziele bei der Haltungsform. Eine solche Doppelmoral ist unerträglich und wird – wenn sie sich bestätigt – unweigerlich Reaktionen bei uns Schweinehaltern hervorrufen
, ärgert sich Staack.
Wir erwarten zudem deutlich mehr Engagement auch von Seiten der Politik aus Berlin. Hier muss gehandelt werden, damit die Schweinehaltung nicht analog zur Textilindustrie aus Deutschland abwandert
, so Dierkes.
Dabei darf man nicht vergessen, dass der schon laufende Strukturbruch in der Schweinehaltung erhebliche Auswirkung auf die vor- und nachgelagerten Wirtschaftsbereiche bis hin zu den örtlichen Strukturen im ländlichen Raum hat
, warnt Staack.
Im Einzelnen fordert die ISN von der Politik,
- ein Handeln mit Augenmaß und ein Auflagenmoratorium, das weitere Nachteile im EU-Wettbewerb verhindert, um den laufenden Stukturbruch in der Schweinehaltung abzuschwächen.
- die Herkunft des Fleisches verpflichtend zu kennzeichnen.
- nach über einer Dekade der Diskussion um Tierwohl endlich den Willen zur Lösung der Zielkonflikte und Hemmnisse zur Weiterentwicklung der Betriebe zu zeigen.
- die Schweinehaltung nicht mehr als das Problem zu verunglimpfen, sondern als wichtigen Teil der Lösung des Problems einzubeziehen.