26.04.2017rss_feed

Landwirtschaftsminister Schmidt stellt Kriterien für staatliches Tierwohllabel vor

20170426 Staatliches Tierwohllabel Kriterien

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt hat gestern in Berlin Details für das neue staatliche Tierschutzlabel vorgestellt. Dieses umfasst nach den Vorstellungen des Ministers einen zweistufigen Aufbau mit einer Eingangsstufe und einer Premiumstufe.


Eingangsstufe deutlich über den gesetzlichen Standards

Für die Eingangsstufe des Labels nannte das BMEL zwölf Vorgaben, die deutlich über die gesetzlichen Standards und die Kriterien der Initiative Tierwohl (ITW) hinausgehen sollen. Im Vordergrund steht dabei das Platzangebot in den verschiedenen Gewichtsklassen der Tiere, wie z.B. 15 bis 33% mehr Platz in der Eingangsstufe und 70 bis 100% mehr Platz incl. Auslauffläche (bei der Schweinemast ab 60 kg) in der Premiumstufe. Im Deckzentrum dürfen die Sauen maximal 4 Tage im Kastenstand gehalten werden und zusätzlich ist in der Premiumstufe die freie Abferkelung umzusetzen. Außerdem gibt es strengere Vorgaben für die Buchtenstruktur und das Schwanzkupieren, aus dem Labelbetriebe aussteigen sollen. Zusätzlich ist eine obligatorische jährliche Fortbildung der Tierhalter vorgesehen.

 

Kompensation der Mehrkosten von etwa 20 Prozent durch höhere Markterlöse und öffentliche Unterstützung

Schmidt bezifferte die Mehrkosten für die teilnehmenden Erzeuger auf rund 20 %. Sie müssten über eine Kombination aus höheren Markterlösen und öffentlicher Unterstützung kompensiert werden. Der Minister sprach von einem notwendigen Bündnis der Wertschöpfungskette vom Bauern über den Supermarkt bis zum Verbraucher, das es zu schließen gelte, berichtet Agra Europe. Damit das Label auch in der Breite bekannt wird, plant der Minister etwa 70 Millionen Euro für Werbung ein.

 

Zertifizierung der Betriebe ab 2018 – Gesetzesverabschiedung vor der Bundestagswahl unwahrscheinlich

In den kommenden Wochen will das Agrarressort einen Gesetzentwurf mit den wesentlichen Eckpunkten zur begleitenden Einführung des Tierwohllabels vorlegen. Die Details sollen in einer anschließenden Verordnung geregelt werden. Die ersten Betriebe sollen bei einem optimalen Verlauf im Laufe des Jahres 2018 zertifiziert werden können.

Schmidt räumte ein, dass eine Verabschiedung des Gesetzes vor der Bundestagswahl unwahrscheinlich sei. Es sei jedoch sein Ziel, den Prozess unumkehrbar zu machen. Das Label werde dazu beitragen, Deutschland zum Trendsetter beim Tierwohl zu machen und einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung der Tierhaltung im Lande leisten.

 

Deutscher Tierschutzbund wird Bundesregierung nicht weiter unterstützen

Der Deutsche Tierschutzbund hat unterdessen gestern angekündigt, das staatliche Tierwohllabel nicht weiter unterstützen zu wollen. Verbandspräsident Thomas Schröder kritisierte gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung, die Kriterien des Labels blieben zu nah am gesetzlichen Standard. So schaffe man keinen nachhaltigen Tierschutz im Stall, argumentierte Schröder.

Die ISN meint:

Auch die ISN war zusammen mit anderen Vertretern der Wertschöpfungskette in den Dialogprozess rund um das staatliche Tierwohllabel eingebunden. Die Wunschvorstellungen der verschiedenen Branchenbeteiligten und Tierschutzorganisationen lagen sehr weit auseinander. An den Kriterienkatalogen an sich wird wohl noch weiter feingeschliffen werden müssen, da einige Formulierungen noch sehr schwammig gehalten sind.

Ob die von Minister Schmidt genannten Mehrkosten von 20% beim Erzeuger wirklich ausreichen, ist aus unserer Sicht, insbesondere bei der Premiumstufe mehr als fraglich. Außerdem sind auf diese Mehrkosten noch die Kosten der nachfolgenden Stufen, z.B. für eine aufwändigere Logistik, zu addieren, so dass bis zum Verbraucher bereits in der Einstiegsstufe vermutlich Mehrkosten von mehr als 40 bis 50% entstehen. Können nur Teile des Schweines mit den Mehrkosten belastet werden, muss der Preis für diese Teilstücke um den entsprechenden Faktor steigen.

Auch wenn der Minister ein großzügiges Werbebudget für die Bekanntmachung des Labels angekündigt hat, wird es eine große Herausforderung sein, das Label am Markt zu etablieren. Letztendlich entscheidet vermutlich auch hier der Preis, welches Produkt im Einkaufswagen des Verbrauchers landet. Bis zur tatsächlichen Umsetzung des Labels sind noch dicke Bretter zu bohren. Schließlich wird das notwendige Gesetz wohl erst 2018 im Bundestag verabschiedet.

Bisher wurde kaum über die Abwicklung des ganzen Verfahrens und über die Auditierung der Betriebe gesprochen. Dabei sind dies entscheidende Aspekte, wenn das Label erfolgreich werden und mehr Tierwohl möglich werden soll. Das BMEL sollte intensiv prüfen, in welcher Form eine Verzahnung mit der Inititative Tierwohl und weiteren schon bestehenden Tierwohl-Systemen möglich ist. Nur so können Synergieeffekte genutzt und eine breite Akzeptanz im Markt erreicht werden.

Nicht zu unterschätzen sind auch hier die Zielkonflikte zwischen Tier- und Umweltschutz, die es den Betrieben deutlich erschweren, mehr Tierwohl in den Ställen zu ermöglichen. Auch mit diesem Thema muss sich Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt auseinandersetzen, damit das Label kein Reinfall wird.

Der Rückzug des Deutschen Tierschutzbundes ist wieder einmal bezeichnend. Wie schon der Rückzug bei der Initiative Tierwohl gezeigt hat, leidet man dort wohl immer mehr an Realitätsverlust. Zunächst wird mitgekläfft und wenn es ernst wird, zieht man den Schwanz ein und sucht das Weite.


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