07.06.2022rss_feed

Özdemir stellt Entwurf zur Haltungskennzeichnung vor – ISN: Erster Schritt mit zu vielen Schlupflöchern

Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemir hat heute die Eckpunkte für eine verpflichtende Haltungskennzeichnung für Schweinefleisch vorgestellt. ©ISN/Jaworr, BMEL/Photothek, https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Tierschutz/eckpunkte-tierhaltungskennzeichnung.pdf?__blob=publicationFile&v=3

Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemir hat heute die Eckpunkte für eine verpflichtende Haltungskennzeichnung für Schweinefleisch vorgestellt. ©ISN/Jaworr, BMEL/Photothek, https://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/DE/_Tiere/Tierschutz/eckpunkte-tierhaltungskennzeichnung.pdf?__blob=publicationFile&v=3

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat die Eckpunkte für eine verpflichtende Haltungskennzeichnung für Schweinefleisch vorgestellt.

ISN: Ein erster Schritt, aber warum geht es nicht um die Wurst? Für deutsche Schweinehalter geht es genau darum – denn die Schlupflöcher, die Großhandel, Außer-Haus-Verzehr, Verarbeitungsprodukte und auch Importware über zu lange Zeit gewährt werden, unterwandern die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Schweinehalter. Herkunftskennzeichnung nicht von Brüssel auf die lange Bank schieben lassen.

 

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat heute die Eckpunkte seines Hauses zu einer verpflichtenden Haltungskennzeichnung vorgestellt. Diese soll mit dem Schweinefleisch starten. Demnach soll ein fünfstufiges verpflichtendes Kennzeichnungssystem in 2023 eingeführt werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll noch vor der Sommerpause in die Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung. Die erste Lesung im Bundestag ist Ende des Jahres vorgesehen.

 

Nur für Frischfleisch, ohne Gastronomie, Verarbeitung und Importe und ohne Sauenhaltung

Die verpflichtende Kennzeichnung soll zunächst lediglich mit frischem Schweinefleisch, gekühlt oder gefroren, verpackt oder unverpackt, im Lebensmittelhandel, den Fleischereifachgeschäften, dem Online-Handel und anderen Verkaufsstellen beginnen. Gastronomie, Außerhaus-Verpflegung oder verarbeitete Produkte sollen im Laufe der Legislaturperiode folgen. Importfleisch kann zwar freiwillig gekennzeichnet werden, es besteht aber keine Verpflichtung. Eine Herkunftskennzeichnung werde laut Özdemir allein in Brüssel ausgearbeitet.

 

Fünf Stufen von Gesetz bis Bio

Die staatliche Haltungskennzeichnung bezieht sich ausschließlich auf die Mast. Die Ferkelerzeugung ist nicht berücksichtigt. Die verpflichtende Kennzeichnung umfasst ein System mit fünf Stufen, bei der Bio nach EU-Vorgaben die höchste Haltungsstufe darstellen soll. Im Einzelnen sind folgende Kennzeichnungsstufen geplant:

  • Haltungsform Stall: Haltung während der Mast entsprechend der gesetzlichen Mindestanforderungen.
  • Haltungsform Stall + Platz: Mindestens 20 Prozent mehr Platz in der Mast im Vergleich zum gesetzlichen Mindeststandard und Strukturierung der Buchten durch verschiedene Maßnahmen.
  • Haltungsform Frischluft: Dauerhafter Kontakt zum Außenklima (mindestens eine offene Stallseite) und 46 Prozent mehr Platz im Vergleich zum gesetzlichen Mindeststandard.
  • Haltungsform Auslauf/Freiland: Auslauf, der ganztägig (mind. 8 Stunden je Tag) bzw. Freilandhaltung. Zudem mindestens 86 Prozent mehr Platz im Vergleich zum gesetzlichen Mindeststandard.
  • Haltungsform Bio: mindestens Vorgaben der EU-Ökoverordnung

 

Finanzierung mit vielen Fragezeichen

Bei seiner Vorstellung ließ der Bundeslandwirtschaftsminister offen, wie die Finanzierung von mehr Tierwohl aussehen soll. Er verwies auf die Möglichkeiten, die im Rahmen der Borchert-Kommission erarbeitet wurden. Der Haushalt in seinem Ressort sei für den Zweck für die Jahre 2023 bis 2026 zunächst einmal mit einer Mrd. € zusätzlich ausgestattet worden, mit der man starten könne. Dies könne man auch ausweiten, wohlwissend, dass dieses Geld nicht ausreichen werde, so Özdemir. Die Stufe Stallhaltung plus Platz müsse über den Markt finanziert werden. Im Unterschied zu den Zielen der Borchert-Kommission soll zwar eine Verpflichtung zur Haltungskennzeichnung kommen, ein konkreter Zeithorizont zur Anhebung des Mindeststandards stehe aber aktuell nicht an.

 

Innerhalb der Ampelkoalition gehen die Meinungen deutlich auseinander. So sträubt sich die FDP angesichts der aktuell hohen Inflation gegen eine Finanzierung höherer Haltungsstufen durch zusätzliche Abgaben auf Fleisch oder durch Anhebung der Mehrwertsteuer. Der agrarpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Gero Hocker, kritisiert u.a. gegenüber dem Bayerischen Rundfunk das dogmatische Beharren auf einer Extrastufe für Bioprodukte und wirft dem Bundeslandwirtschaftsministerium Klientelpolitik vor. Die Vorschläge seien nur als erste Arbeitsgrundlage zu verstehen. Der SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch bestätigte gegenüber der ARD, dass die Finanzierung weiter strittig sei, zeigte sich aber zuversichtlich, dass die Frage zwischen den Ampelparteien noch in diesem Jahr geklärt werde.

 

Die ISN meint:

Die Eckpunkte für eine verpflichtende Haltungskennzeichnung für Schweinefleisch, die Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir nun auf dem Tisch gelegt hat, sind ein erster Schritt. Wir fragen uns, warum geht es bei der Kennzeichnung nicht um die Wurst?, so ISN-Geschäftsführer Dr. Torsten Staack. Denn um die geht es für die Schweinehalter nämlich nicht nur im übertragenen Sinne! Staack erläutert: Nüchtern betrachtet muss man aber festhalten, dass die staatliche Haltungskennzeichnung, so wie sie nun vorgestellt wurde, lediglich genau für die Absatzwege und Fleischprodukte verpflichtend wird, die mit wenigen Ausnahmen so oder so bereits über die Haltungsform des Handels gekennzeichnet sind.

Staack weiter: Wir haben heute viele richtige, gute und wertschätzende Worte vom Bundeslandwirtschaftsminister gehört. Aufgenommen wurde unsere Forderung, dass auch eine Stufe mit mehr Tierwohl innerhalb des Stalles vorgesehen werden muss. Und es ist auch richtig, dass man zwar die Borchert-Ergebnisse berücksichtigt, dass man aber angesichts der aktuellen wirtschaftlich katastrophal schlechten Situation der Schweinehalter und der Teuerungsraten beim Verbraucher, die fixen Zeithorizonte zur Anhebung von Mindeststandards, so wie sie im Borchert-Papier beschrieben sind, zunächst nicht weiter verfolgt.

Aber: Den deutschen Schweinehaltern läuft die Zeit davon – jeden Tag steigen mehr Betriebe aus, so Staack. Es ist ein Problem, dass die Sauenhaltung in der Kennzeichnung weiter überhaupt keine Rolle spielt. Dabei sind besonders diese von zusätzlichen gesetzlichen Vorgaben in Deutschland betroffen. Und dadurch, dass der Großhandel, die Außer-Haus-Versorgung und verarbeitete Produkte vorerst nicht berücksichtigt sind und auch Importware ungekennzeichnet bleiben kann, ist Fleischimporten aus anderen Staaten mit ggf. geringeren Erzeugerstandards noch über eine lange Zeit Tür und Tor geöffnet, weiter unter dem Radar zu schwimmen und die Preise hierzulande zu unterbieten. Genau das beobachten wir aktuell am Markt. Deshalb ist es zudem ebenso wichtig, dass auch die verpflichtende Herkunftskennzeichnung für alle Schweinefleischprodukte in allen Absatzkanälen schnell kommt und nicht zugelassen wird, dass sie von Brüssel auf die lange Bank geschoben wird.

Und Staack ergänzt weiter: Höhere gesetzliche Vorgaben und damit verbundene höhere Kosten sind in Deutschland bereits Realität – man denke nur an die Vorgaben zur Sauenhaltung. Deshalb ist eine Blockadehaltung der FDP bei der Finanzierung für die Schweinehalter verheerend. Und dass die im Haushalt der Bundeslandwirtschaftsministers zusätzlich bereitgestellte Milliarde nur ein Anfang sein kann, sollte der FDP in jedem Fall klar sein.


Auch in den Medien ist das Thema breit aufgegriffen worden. In den nachfolgenden Sendungen der Tagesschau und der Tagesthemen vom 07.06.2022 in der ARD kommt u.a. ISN-Vorstandsvorsitzender Heinrich Dierkes zu Wort:


Video: Landwirtschaftsminister Özedemir stellt Pläne für Kennzeichnungspflicht von Tierhaltung vor/ Tagesschau vom 07.06.2022

Video: tagesthemen vom 07.06.2022, 22:15 Uhr

Kommen Sie auch zur ISN-Mitgliederversammlung am 14.6.2022 nach Osnabrück – Dort werden wir genau über dieses Thema u.a. mit Staatssekretärin Silvia Bender aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium diskutieren.

ISN-Mitgliederversammlung am 14. Juni 2022 in Osnabrück

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