Schweinemarkt in der Krise: Es hakt an vielen Stellen
Bei der Podiumsdiskussion beleuchteten die Marktakteure die Preismisere am Schweinemarkt aus ihrer Perspektive. ©ISN
Auf der gestrigen Mitgliederversammlung der ISN in Münster wurde deutlich, in was für einer gewaltigen Strukturkrise die Schweinehaltung in Deutschland momentan steckt. Das Topthema war die aktuelle Preismisere am Schweinemarkt, die aus der Perspektive verschiedene Marktakteure auf dem Podium intensiv diskutiert wurde. Zentrale Themen waren dabei auch die Afrikanische Schweinepest, das durch die ASP stark beeinträchtigte Exportgeschäft und die Rolle von Herkunft und Tierwohl. Einen ersten Auszug aus der spannenden Diskussion lesen Sie hier.
Rund 250 Besucher konnten gestern im Rahmen der gestrigen ISN-Mitgliederversammlung in Münster eine spannende und umfassende Podiumsdiskussion zur Preismisere am Schweinemarkt
verfolgen. Auf dem Podium diskutierten Dr. Gerald Otto von Böseler Goldschmaus, Dr. Bernhard J. Simon von Simon-Fleisch, Steffen Reiter von German Meat und Markus vom Stein von der REWE-Group sowie ISN- Geschäftsführer Dr. Torsten Staack.
Auf dem Podium: Steffen Reiter von German Meat, Markus vom Stein von der REWE-Group, Dr. Gerald Otto von der Goldschmaus Gruppe, Dr. Bernhard J. Simon von Simon-Fleisch ©ISN
Preis- oder Strukturkrise?
Die deutsche Schweinehaltung steckt nicht nur in einer Preis-, sondern auch in einer Strukturkrise.
, diese These stellte ISN-Geschäftsführer Dr. Torsten Staack direkt zum Einstieg in die Podiumsdiskussion auf. Wo drückt der Schuh?
, wollte Moderator Dr. Karl-Heinz Tölle von der ISN-Projekt GmbH es ganz genau wissen. Neben den Auswirkungen der Corona-Pandemie und der Afrikanischen Schweinepest (ASP) und dem dadurch bedingten Wegbrechen wichtiger Absatzkanäle im Außer-Haus-Verzehr und dem Export wurde das Imageproblem von Schweinefleisch als einer der Hauptgründe für die aktuelle Misere genannt. Verbraucher hätten sich nach den Corona-Ausbrüchen in Schlachtbetrieben beim Fleischkonsum zurückgehalten, aber auch der Handel habe sich schwer getan mit Aktionen, stellte Dr. Bernhard Simon klar. Verstärkt durch den Personalmangel, sei man aufgrund der vielen zusammenspielenden Themen in die derzeitige Strukturkrise geraten.
Markus vom Stein bestätigte, dass von Seiten des Handels Verkaufswerbeaktionen zurückgefahren wurden und dass es einige Zeit dauere, um diese wieder anzufahren. Dazu komme, dass der Pro-Kopf-Verzehr bei Fleisch insgesamt rückläufig sei und der Schweinefleischbereich am deutlichsten verliere. Wir stellen uns jedem Tag einem Markt
, betonte vom Stein und das sei jede Woche ein harter Kampf. Als Beispiel brachte er Grillartikel an, die in diesem Jahr massiv hinter den Erwartungen geblieben seien.
Dr. Gerald Otto von Böseler Goldschmaus macht deutlich, wie sich der weggebrochene Exportmarkt durch die ASP auf die Wertschöpfung auswirkt. ©ISN
Die ASP ist gekommen, um zu bleiben
Ein weiteres zentrales Thema der Podiumsdiskussion war die ASP. Die vier Marktakteure haben wenig Hoffnung, dass die ASP in den kommenden Jahren bekämpft werden kann – eher im Gegenteil: sie wird bleiben. Die ASP ist gekommen, um zu bleiben
, bestätigte Dr. Gerald Otto die These Staacks, dass sich mindestens ein punktuelles Ausbreitungsgeschehen nicht verhindern lassen werde. Auch wenn man gut vorbereitet sei, werde es einige hart treffen, so Otto.
Das große Problem, was damit einhergeht, ist der Wegfall des Exportgeschäfts, denn gerade darüber konnten in der Vergangenheit Nebenprodukte wie Öhrchen, Pfötchen und Schwänzchen, welche hierzulande keinen Abnehmer finden, vermarktet werden. Laut Steffen Reiter brach der Drittlandexport um insgesamt 58% ein. Dr. Torsten Staack hob ein weiteres Problem hervor, nämlich die Stigmatisierung von Schweinefleisch aus ASP-Restriktionsgebieten von Seiten einiger Abnehmer. Die geltenden Gesetze und Untersuchungen seien vollkommen ausreichend und verlässlich. Wir brauchen eine neue Normalität im Umgang mit der ASP
, so die These von Staack. Eine Stigmatisierung des Fleisches aus ASP-Risikogebieten ist inakzeptabel zumal es umfassend untersucht und garantiert unbedenklich ist
, so Staack.
Exportmärkte wiedererlangen - From nose to tail
in Deutschland nicht möglich
Für Dr. Bernhard Simon ist klar: Der fehlende Export nach Asien ist durch nichts zu ersetzen.
Das Grundproblem sei, dass es keine Ganztiervermarktung in Deutschland gebe. Deshalb müsse man im Export wieder Märkte bekommen, die Teile abnähmen, die man hier nicht vermarktet bekommen. Anders wird es sehr schwer, das Schwein wieder in bekannte Preishöhen zu bekommen
, lautete sein Fazit. Zustimmung gab es hierzu von Steffen Reiter. Wir brauchen weitere Marktzugänge. Ich bin nicht so ganz pessimistisch, dass uns das nicht gelingen wird,
streute Reiter etwas Zuversicht. Auch den chinesischen Markt wollte Reiter noch nicht abschreiben. Unterstützung wünschte er sich von der Politik. Auch Dr. Gerald Otto betonte die Bedeutung der Ganztiervermarktung. Von mehr und weniger wertvollen Teilen wollte er dabei nichts hören: Nicht weniger wertvoll, einfach woanders mehr wertgeschätzt.
Er zeigte in dem Zusammenhang auf, welchen Einfluss der weggebrochene Exportmarkt durch die ASP in Deutschland auf die Wertschöpfung hat. So fehlen beispielsweise beim Kopf fast 94 % Wertschöpfung. Da fehlen allein schon über 7 €
so Otto. Er bezifferte den Wertschöpfungsverlust insgesamt auf ca. 50 € je Schwein. Wir brauchen den Markt für diese Artikel, auch um Haltung hierzulande zu verbessern
, stellte er klar.
Rund 250 Besucher kamen gestern im Rahmen der gestrigen ISN-Mitgliederversammlung in Münster zusammen. ©ISN
Schweinefleisch lebt von Aktionen
Aus Sicht des Lebensmitteleinzelhändler erklärte auch Markus vom Stein, dass es nie gelingen werde, ein Schwein zu gleichen Maßen zu vermarkten. Schweinefleisch lebe massiv von Aktionen, deshalb komme es zu erheblichen Schwankungen bei den Verkaufsmengen der jeweiligen Artikel. Die Frage sei, wie man diese gestalte. Bei Fleisch aus höheren Haltungsstufen müsse dem Verbraucher verständlich gemacht werden, wie ein höherer Preis zustande käme und welchen Mehrwert er davon habe. Wir als Händler müssen verbindlich werden und den Verbraucher dazu überzeugen auf diese Reise mitzugehen,
betonte er. Es sei die Aufgabe das zarte Pflänzchen, das man jetzt habe, weiter zu nähren.
Made in Germany
zählt
ISN-Geschäftsführer Staack bekräftigte die Forderung nach 5 X D und einheitlichen Standards für den Schweinefleischmarkt. Gerade für den Erhalt der hiesigen Ferkelerzeugung sei dies enorm wichtig. Diesen Ball hat die REWE aufgenommen, erläuterte Markus vom Stein. Sein Unternehmen habe angekündigt, zukünftig zunächst beim Frischfleisch ganz auf 5 X D zu setzen.
Dass Made in Germany
in allen Absatzkanälen zählt, bekräftigte Dr. Gerald Otto. Böseler Goldschmaus setze deshalb inzwischen komplett auf 5 X D – Das heißt, die Tiere sind in Deutschland geboren, aufgezogen, gemästet und geschlachtet, sowie deren Fleisch auch hierzulande verarbeitet.
Weitere Berichte zur Mitgliederversammlung lesen Sie in den kommenden Tagen im www.schweine.net sowie im nächsten ISN-Kompakt und Mitgliederrundbrief.