Neue Studienergebnisse: Handelsunternehmen nutzen ihre Marktmacht und vervielfachen ihre Marge
Laut Experten machen sich Unternehmen des Lebensmittelhandels in Zeiten hoher Inflation auch bei Fleischprodukten scheinbar ihre Taschen voll. ©Canva, agrarheute.com, Lebensmittelzeitung
Unternehmen des Lebensmittelhandels machen sich in Zeiten hoher Inflation auch bei Fleischprodukten scheinbar ihre Taschen voll. Zu diesem Ergebnis kommt Prof. Thomas Roeb aufgrund eigener Erhebungen in einem aktuellen Beitrag in der Lebensmittelzeitung. Gleichzeitig sehen die Ökonomen Prof. Rainer Lademann und Dr. Mitja Kleczka laut einem weiteren Bericht in agrarheute durch die gestiegene Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel (LEH) ein strukturelles Problem, dass zur Ausnutzung der Marktmacht, Druck auf Lieferanten und zur Befeuerung der Inflation führt.
ISN: Zwei Studien, die aufhorchen lassen. Hohe Inflation beim Verbraucher, massive Verluste bei Schweinehaltern und Rekordeinnahmen im Lebensmittelhandel – wie passt das zusammen? Die Marktmacht einzelner Unternehmen im LEH ist bedenklich und ihre starke Lobbyarbeit scheint Früchte zu tragen. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir muss seine zuletzt immer wieder gezeigte Nähe zu verschiedenen Handelshäusern endlich überdenken und die weitere Benachteiligung der deutschen Schweinehalter unterbinden.
Nahrungsmittel sind in Deutschland zwischen Januar 2022 und Januar 2023 um 20,2 % teurer geworden. Laut einem Bericht der Verbraucherzentrale sind manche Preissteigerungen bei Lebensmitteln allerdings weder gerechtfertigt noch nachvollziehbar. Verbraucherschützer fordern deshalb einen kritischen Blick auf Handel und Lebensmittelhersteller, um zu prüfen, ob die Unternehmen die Lage nutzen, ihre eigenen Erträge zu verbessern. Prof. Thomas Roeb, der an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in den Bereichen Handelsbetriebslehre und Marketing forscht, bestätigt in einem aktuellen Beitrag in der Lebensmittelzeitung (LZ) auf Grundlage eigener Recherchen, dass sich der Handel als deutlicher Profiteur der Krise herausstellt.
Der LEH hat seinen Anteil am Verbrauchspreis von Hackfleisch halb-und-halb in den letzten Jahren deutlich erhöht. © Eigene Darstellung nach LZ-Grafik/Prof. Thomas Roeb, erschienen in Lebensmittelzeitung vom 17.03.2023, S.20
Lebensmittelhändler verdreifachen ihren Margenanteil
Demnach sollen die Lebensmittelhändler in weiten Teilen zulasten der vorgelagerten Wertschöpfungsstufen und in noch größerem Umfang zulasten der Konsumenten gehandelt haben. Diese Aussagen untermauert Roeb in der LZ am Beispiel von Hackfleisch halb-und-halb. Hier soll der LEH den Preis von 2017 bis 2022 von 4,78 € auf 7,98 € pro kg, also um 3,20 € oder 67 % erhöht haben.
Während im Jahr 2017 noch über die Hälfte dieses Verkaufspreises an die Landwirte, ca. 26 % an den Fleischereibetrieb, 9 % an den Handel und 6 % auf die Umsatzsteuer entfielen, soll sich laut Roeb diese Struktur – die nur die Einnahmen, nicht die Kosten der jeweiligen Stufe der Wertschöpfungskette widerspiegele – im Betrachtungszeitraum fundamental geändert haben. Der Handel verdreifachte seinen Anteil auf 27 %. Der Anteil der Landwirte fiel auf unter 50 %, derjenige der Lieferanten auf ca. 18 %, so der Fachmann in der LZ.
In absoluten Werten zeigt sich das Ausmaß noch deutlicher: Insgesamt stieg der Kilo-Verkaufspreis um 3,20 €. Von diesem Anstieg soll mit weitem Abstand am stärksten der Handel profitieren, der rund 1,75 € pro kg mehr erhalte - also fünfmal mehr als noch 2017. Die Fleisch-Produzenten sollen ihren Anteil demgegenüber nur um ca. 15 Cent, die Landwirte immerhin noch um etwa 79 Cent gesteigert haben.
Die Jahresergebnisse des InterPIG-Netzwerks zeigen, dass die deutschen Schweinehalter ihre Kosten in den vergangenen Jahren nur selten decken konnten. Besonders 2021 und 2022 entstanden enorme Verluste. © Eigene Darstellung nach InterPIG
Existenz der Landwirte bedroht
Laut Berechnungen Roebs ergibt das folgende eindrückliche prozentualen Steigerungen: Während der Preis für Verbraucher um 67 % stieg, erhöhten die Händler ihre Marge um über 400 %, die Landwirte demgegenüber nur um 32 % und die Produzenten sogar nur um 15 %. Die Erhöhung der Marge im Handel geht mit erheblichen Belastungen der gesamten Wertschöpfungskette einher. Von den 1,75 €, um die sich die Marge des Handels erhöhte, gingen 99 Cent zulasten der Konsumenten, weitere 10 Cent auf Kosten der Hersteller und sogar 66 Cent zulasten der Landwirte, denen der Handel jeweils nicht mehr die vollen Produktionskosten erstattet. Insbesondere für die Landwirte ist das ein massives Problem, denn die Belastung der Vorlieferanten schwächt deren Überlebensfähigkeit, lautet das Fazit von Prof. Roeb.
Folgen steigender Konzentration im LEH
Auch die Ökonomen Prof. Rainer Lademann und Dr. Mitja Kleczka (Lademann & Associates GmbH) kritisieren laut einem Bericht in agrarheute den LEH. Sie beschreiben eine deutlich gestiegene Konzentration im LEH und die damit verbundene marktbeherrschende Stellung. Sie machten die großen Vier (EDEKA, REWE, Schwarz-Gruppe, ALDI) im LEH im Jahr 2021 85,5 % des Gesamtumsatzes. Die Konzentration hat bedenkliche Ausmaße erreicht
, wird Prof. Lademann bei agrarheute zitiert. Er urteilt, der Wettbewerb funktioniere nicht mehr. Lieferanten würden unter Druck gesetzt, die Konditionen würden nicht verhandelt, sondern vorgegeben. Auf der anderen Seite zahlten die Verbraucher überhöhte Preise. Die Ökonomen und Kartellrechtsexperten empfehlen, die großen Vier der Missbrauchsaufsicht des Bundeskartellamtes zu unterwerfen. Sie untermauern ihre Aussagen und Empfehlungen mit verschiedenen Zahlen und Fakten – u.a. mit Angaben zur Eigenkapitalrendite der großen Vier, die demnach in 2019 in beachtlicher Größenordnung zwischen 17,3 und 19,7 % lag.
Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation in den letzten drei Jahren und der fehlenden Perspektive rollt die Ausstiegswelle in der deutschen Schweinehaltung immer stärker. © Eigene Darstellung nach Destatis
Die ISN meint:
Zwei Studien, die aufhorchen lassen. Hohe Inflation beim Verbraucher, massive Verluste bei Schweinehaltern und Rekordeinnahmen bei den großen Lebensmittelhändlern – wie passt das zusammen? Die Marktmacht im LEH ist bedenklich. Lebensmittelunternehmen machen sich scheinbar u.a. bei den Fleischwaren die Taschen voll. Die Berechnungen in den beiden Studien und auch die Aussagen von Verbraucherschützern sprechen hier eine sehr deutliche Sprache. Natürlich werden die Handelshäuser das nicht ohne Weiteres zugeben und versuchen, die Preisanstiege mit den gestiegenen Kosten zu relativieren. Aber auch unsere eigenen Zahlen sind deutlich. Massive finanzielle Verluste, welche die Schweinehalter in den vergangenen fast drei Jahren einfahren mussten und eine Ausstiegswelle in nie dagewesenem Ausmaß untermauern die Aussagen der Ökonomen.
Besonders bedenklich ist unter diesen Voraussetzungen die Nähe des Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemir zu verschiedenen Unternehmen aus dem Lebensmittelhandel, die wohl nicht umsonst ihre eigene Lobbyistenschar in Berlin stark ausgebaut haben – allein die gegenseitigen Lobeshymnen in den jeweiligen Presseverlautbarungen rund um das geplante Tierhaltungskennzeichnungsgesetz während der Internationalen Grünen Woche in Berlin sprechen Bände. Denn so treibt der Minister die ohnehin schon riesige Übermacht einzelner Lebensmittelhändler gegenüber den Landwirten noch stärker voran. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis – und nicht die Kosten. Wenn aber Minister Özdemir den hiesigen Landwirten immer mehr Ordnungsrecht aufdrückt, dann katapultiert das die Produktionskosten der deutschen Bauern extrem in die Höhe. Gleichzeitig setzen Handelsunternehmen die Bauern zusätzlich unter Druck, weil sie trotzdem – und obwohl sie die höheren Standards selbst von den Bauern einfordern – die gestiegenen Angebotspreise im Einkauf nicht akzeptieren und stattdessen auf Basis von Weltmarktpreisen verhandeln. Somit werden die Schweinehalter von zwei Seiten in die Zange genommen und massiv im europäischen Wettbewerb geschwächt!
fasst ISN-Geschäftsführer Dr. Torsten Staack die Problematik zusammen.
Cem Özdemir ist Landwirtschaftsminister und eben nicht Handelsminister – er hat deshalb per Amt eine Verantwortung gegenüber den Landwirten. Wenn er selbst das nicht erkennt, dann müssen ihn die regierenden Koalitionsparteien in Berlin endlich wieder auf die Spur setzen. Verschiedene Bundesländer haben bereits sehr deutlich zum Tun den Bundeslandwirtschaftsministers ihren Unmut geäußert – und genau das verlangen wir auch von der laufenden Agrarministerkonferenz.