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Kastration Spezial: Betäubungslose Kastration ab 2019 verboten – Die Alternativen

20170809 Kastration Möglichkeiten

Eber werden seit vielen Jahrzehnten in Deutschland und auch in den meisten anderen Staaten innerhalb und außerhalb der EU kastriert, um Geruchsabweichungen beim Fleisch zu vermeiden – sogenannter Ebergeruch (hervorgerufen im Wesentlichen durch Skatol und Androstenon). Wie alle nicht kurativen Eingriffe am Tier steht auch die betäubungslose Kastration männlicher Ferkel aus Tierschutzgründen in der Kritik und ist laut Tierschutzgesetz in Deutschland ab dem 1.1.2019 nicht mehr zulässig. Durch die gesetzliche Verankerung ist der Ausstieg so verbindlich wie in keinem anderem Staat der EU, mit entsprechend bedeutsamer Schweinehaltung. Deutsche Schweinehalter drohen an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren, weil es keinen Königsweg gibt und alle bekannten Alternativen mit Vor- aber auch Nachteilen behaftet sind.

Um auf die betäubungslose Ferkelkastration verzichten zu können, stehen derzeit die folgenden Alternativen zur Verfügung:

 

Jungebermast – Haltung braucht Erfahrung

Was ist einfacher darzustellen, als gänzlich auf die Kastration zu verzichten, zumal Eber die Nährstoffe auch noch effizienter ausnutzen, eine signifikant bessere Futterverwertung aufweisen und so Futterkosten einsparen. Nicht zu vergessen ist, dass Eber deshalb auch in Sachen Nährstoffausscheidungen besser und somit gut für die Umwelt sind. Leider sind Eber deutlich unruhiger als Börge, tragen teils massive Rangkämpfe aus und können sich gegenseitig verletzen. Doch die Landwirtschaft hat ihre Hausaufgaben gemacht und Erfahrungen mit der Haltung von Ebern gesammelt und gelernt, wie Rangkämpfe zumindest reduziert werden können.

Herausforderung Jungebervermarktung

Die eigentliche Herausforderung der Jungebermast ist die Vermarktung – hier sind die Zügel inzwischen stark angezogen. Die Verarbeitungsqualität des Fleisches, die Qualität des wenig vorhandenen Fettes sowie die auftretenden Geruchsabweicher stellen die Schlachtunternehmen vor große Herausforderungen und schränken den Fleischabsatz im In- und Ausland ein.

Für die Schweinehalter sind die Vermarktungsalternativen bislang im Wesentlichen auf eine Hand voll großer Schlachtunternehmen begrenzt, wodurch eine starke Abhängigkeit von einzelnen Abnehmern entsteht. Selbst die Schlachtunternehmen, die Eber schlachten üben sich inzwischen in Zurückhaltung, wenn es um die Abnahme von Ebern geht. Das zeigen die Maskenänderungen für Eber der vergangenen Monate mehr als deutlich. Die haben dazu geführt, dass die Vorzüglichkeit der Ebermast stark eingebüßt hat. Diese Entwicklung dürfte sich wohl leider fortsetzen.


Hier können Sie den QS-Kompass Jungebermast herunterladen

 

Immunokastration – die Impfung gegen Ebergeruch

Als unterstützte Ebermast, Immunokastration oder Impfung gegen Ebergeruch wird zuweilen eine weitere Alternative bezeichnet. Der Mäster führt dabei mehrmalige Impfungen (zweimal ggf. dreimal) seiner Schweine mit einer speziell entwickelten Sicherheitsspritze durch, der dafür gängige Impfstoff heißt Improvac. Die Schweine müssen nach dem Einstallen in die Mast sowie 4 bis 6 Wochen vor dem Schlachttermin geimpft werden, was eine sehr genaue Planung des Impfzeitpunkts in Abhängigkeit von den Zunahmen und dem darauf aufbauenden Impfzeitpunkt erfordert. Bis zur zweiten Impfung bleibt die Hodenfunktion, d. h. auch die Bildung des männlichen Geschlechtshormons unverändert. Im Klartext: Bis zur zweiten Impfung ergeben sich keine Unterschiede zur Ebermast. Ab der zweiten Impfung kann der Impferfolg dann durch die Reduzierung der Hodenmasse beobachtet werden. Eventuell auftretende Impfversager können nachgeimpft werden. Die Impfung bewirkt eine Minimierung der Geruchsabweichler und Rangkämpfe in der letzten Phase der Mast. Dass dieses Verfahren funktioniert, haben zahlreiche Untersuchungen gezeigt. Neben den Kosten der Impfung werden die Leistungsvorteile der Eber in der Zeit ab der zweiten Impfung bis zur Schlachtung zu einem größeren Teil reduziert. Eine Gretchenfrage bleibt: Werden es die Verbraucher verstehen, dass es sich bei diesem Eingriff in den Hormonhaushalt (genau das bewirkt übrigens auch eine Kastration) um eine Impfung und nicht um eine Hormonbehandlung handelt?

 

Kastration unter Narkose mit Ketamin und Azaperon (Stressnil)

Auch ab 2019 besteht weiterhin die Möglichkeit, Ferkel zu kastrieren. Allerdings darf das nur unter Schmerzausschaltung passieren. Eine Option bietet sich hier besonders für Ferkelerzeuger, die entweder aufgrund der Betriebsgröße oder aufgrund des Wochenrhythmus‘ mit großen Ferkelgruppen arbeiten: die Kastration unter Narkose mit Ketamin und Azaperon (Stressnil). Diese Injektionsnarkose appliziert der Tierarzt, wobei dieselbe Mittelkombination wie bei der Narkose von Bruchferkeln und Binnenebern genutzt wird. Die Dosierung gestaltet sich allerdings bei kleinen Tieren schwieriger. Die anschließende Kastration kann der Landwirt selbst durchführen. Neben den Kosten und dem zeitlichen Aufwand ist der größte Nachteil dieser Methode, dass die Tiere 3 bis 6 Stunden schlafen und so wichtige Säugezeit verpassen. Dabei sollten sie separiert werden und brauchen in dieser Zeit besondere Beobachtung, um nicht von der Sau erdrückt zu werden. Für junge Ferkel ist dieses Verfahren nicht unproblematisch, weshalb man das Kastrationsalter hierbei auch gerne erhöht. Die Kosten werden je nach Arbeitszeit des Tierarztes zwischen 1,00 bis 2,00 € pro narkotisiertem Ferkel angesetzt. Einige wissenschaftliche Untersuchungen zeigen inzwischen, wo die Probleme und Möglichkeiten dieses Verfahrens liegen.


Kastration unter Betäubung: Die Injektionsnarkose unter der Lupe

 

Kastration unter Narkose mit Isofluran - nur eine Ausnahmeregelung

Eine weitere Möglichkeit zukünftig auch weiter Ferkel kastrieren zu können, ist die Kastration unter Narkose mit Isofluran – ein Verfahren, welches – neben dem vorherigen Verfahren – heute bereits in Biobetrieben oder bei alternativen Haltungslabeln eingesetzt wird. Das Narkosemittel Isofluran, welches als Inhalationsnarkose vom Tierarzt appliziert wird, ist für die Tierart Schwein in Deutschland noch nicht zugelassen und muss im Einzelfall umgewidmet werden. Aus diesem Grund stellt es derzeit keine flächendeckende, praktikable Lösung dar.

 

Hoffnung auf den vierten Weg

Viel Hoffnung wird insbesondere im Süden der Bundesrepublik auf den sogenannten vierten Weg gesetzt. Hierbei geht es im Prinzip um die Kastration mit Lokalanästhesie, die ggf. durch den Landwirt selbst durchgeführt werden kann. Die Diskussionen hierzu werden sehr kontrovers geführt. Insbesondere aus der Tierärzteschaft gibt es hierzu erheblichen Gegenwind.

Mit dem Geschäftsführer und Tierärztlichen Leiter des Tiergesundheitsdienst Bayern haben wir hierzu ein Interview geführt, welches Sie hier Betäubungslose Ferkelkastration - Ist der vierte Weg die Lösung? finden.


Betäubungslose Ferkelkastration - Ist der "vierte Weg" die Lösung?

Kastration unter Betäubung: Die Injektionsnarkose unter der Lupe

 

Die ISN meint: Wir brauchen alle und noch mehr Alternativen zur betäubungslosen Kastration, also zur Umsetzung der ab 2019 geltenden gesetzlichen Vorgabe in Deutschland. Nur so kann der drohende Strukturbruch in der deutschen Ferkelerzeugung etwas abgemildert werden, denn durch die geänderte Gesetzeslage in Deutschland ergibt sich für deutsche Schweinehalter ein erheblicher Wettbewerbsnachteil gegenüber den EU-Nachbarn.

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