23.12.2015rss_feed

Quo vadis, Initiative Tierwohl?

Dr. Ludger Schulze Pals, Chefredakteur von top agrar

Dr. Ludger Schulze Pals, Chefredakteur von top agrar

Die ITW steckt in der Krise. Während die Landwirte Bereitschaft, wirtschaftliche Vorleistung und nach wie vor großes Interesse an den vom LEH geförderten Tierwohl-Maßnahmen zeigen, bleibt der von den Händlern getragene finanzielle Rahmen unterversorgt. Das führte diese Woche sogar zu Protesten einiger enttäuschter Landwirte vor verschiedenen Edeka-Märkten. Und das bemängelt in der aktuellen Ausgabe der Topagrar auch Chefredakteur Dr. Ludger Schulze Pals wie folgt.

 

Initiative Tierwohl: Bauern macht Druck!

Ein Kommentar von Dr. Ludger Schulze Pals, Chefredakteur von top agrar

Weihnachtliche Stimmung sucht man bei den Projektpartnern der Initiative Tierwohl derzeit vergebens. Bei Bauern, Schlachtern und im Lebensmittelhandel hat sich viel Frust und Misstrauen breitgemacht. Noch immer gibt es für die 2 500 Schweinehalter und 500 Geflügelmäster, die bei der Initiative auf der Warteliste stehen, keine Lösung.

Maßgebliche Teile des Handels weigern sich strikt, mehr Geld auf den Tisch zu legen (siehe auch Seite 159 in der neuen top agrar 1/2016). Dabei wollten die mächtigen Manager der Branche anfangs sogar 500 Mio. € für die Initiative locker machen. Am Ende gab es nur die Hälfte. Am liebsten wäre es dem Handel, man würde jetzt sofort die Kriterienkataloge einschränken und die Tierwohlprämie pro Mastschwein, Ferkel, Pute oder Hähnchen stärker begrenzen. Dann reicht das Geld für mehr Betriebe, so das schäbige Kalkül.

Zugleich fordert man mit dem Tierwohlindex (u. a. mit Schlacht- und Befunddaten) für die Zukunft einen völlig anderen Ansatz. Das ist dreist, denn die aktuellen Kriterien hat sich der Handel gewünscht! Der größte Scharfmacher ist dabei Marktführer Edeka. Offenbar haben die Edekaner den Spaß an der Initiative Tierwohl verloren. Die mache nur Aldi und Lidl mit ihrem wenig differenzierten Angebot stark, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Wenn das wahr ist, waren alle Beteuerungen der Edeka, für mehr Tierwohl zu sorgen, nichts als leere Versprechungen.

Jetzt hilft nur noch massiver Druck. Die Bauern müssen die Bremser öffentlich vorführen. Sie müssen vor allem die Edeka dort packen, wo sie am empfindlichsten ist, bei ihrem Image. Gezielte Aktionen vor den Supermärkten, die die Verbraucher darüber aufklären, wer mehr Tierwohl verhindert, werden dem Handel das Leben schwer machen. Dafür brauchen die Bauern einen auch für die Verbraucher glaubwürdigen Partner. Das wäre zum Beispiel der Deutsche Tierschutzbund. Bauern und Tierschützer Hand in Hand – für viele Bauern ist das sicher eine ungewohnte Vorstellung. Das ist nachvollziehbar. Dennoch erfordern besondere Umstände manchmal neue Allianzen. Dem Tierschutzbund geht es mit seinem Tierschutzlabel genauso wie den Bauern mit ihrer Initiative Tierwohl: Die Leistungen für eine bessere Haltung werden nicht ausreichend honoriert.

Es klingt abenteuerlich, aber deshalb sind Bauern und Tierschützer Brüder im Geiste. Was spricht dagegen, die Initiative Tierwohl mit dem deutschen Tierschutzlabel zu verknüpfen und gemeinsam mit starken Aktionen den Handel unter Druck zu setzen? Zusammen haben beide Seiten über eine Million Mitglieder. Wenn man die gezielt aktiviert, wird das Edeka und auch die anderen Händler nicht kaltlassen. In den Niederlanden hat das genau so funktioniert. Der Handel hat erst gezahlt, als ihm der Wind mächtig ins Gesicht blies. Jetzt gibt es dort angeblich 20 % Tierwohlfleisch im Handel – Tendenz steigend. Und die Aufschläge sind für die Erzeuger vertretbar. Also: Machen wir Druck wie die Holländer!

 

Die ISN meint:

Recht hat er, der Herr Schulze Pals! Es ist dringend notwendig neuen Schwung in die Diskussion um die ITW zu bringen, damit endlich Ergebnisse im Sinne der wartenden und interessierten Betriebe geschaffen werden. Auf keinen Fall darf dieses von der (Land-)Wirtschaft initiierte Projekt scheitern. Dafür ist nicht nur ein starker finanzieller Rahmen abseits einer Diskussion um einzelne Cent-Beträge notwendig, sondern auch eine Einigung über die Kriteriengestaltung für die teilnehmenden Betriebe, die eben nicht in ein starres Korsett aus Vorgaben gezwungen werden sollen.

Nur wenn die umgesetzten Tierwohl-Maßnahmen finanziell entsprechend gefördert und vom Handel als echte Zusatzleistung anerkannt werden, sind auch die Landwirte bereit, die extra Meile zu gehen und freiwillig neue Konzepte umzusetzen. Mehr Tierwohl für weniger Geld funktioniert einfach nicht! Grade eine Handelskette wie Edeka, die ständig großspurig mit Regionalität, Nachhaltigkeit, glücklichen Landwirten oder gefühlsduseligen #SuperGeil und #heimkommen Werbespots wirbt, verspielt sich mit ihrer knauserigen Haltung gegenüber echtem Tierwohl bei den Landwirten jeden Kredit.


Kommentar zum Nachlesen in der top agrar

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